Presseberichte

Mittelhessen Bote – Noch besteht Aufklärungsbedarf

{gallery width=150 height=100 alignment=left-float  padding=4}pics/preisverleihungbfdt{/gallery}Auf dem rechten Auge blind: Spätestens mit der Aufdeckung der Zwickauer Terrorzelle wurde der Politik die Gefahr durch gewaltbereite Neonazis wieder gewahr, die von den Sicherheits- und Geheimdiensten des Bundes und der Länder wohl allzulange unterschätzt wurde. Im Wetteraukreis sorgte zuletzt der Prozess um den Kopf der rechtsextremen Vereinigung „Old Brothers“ für mediale Aufmerksamkeit. Die Beweisaufnahme im Prozess dokumentierte, dass auch in unserer Umgebung die Gefahr von rechts real ist. Eine Podiumsdiskussion im Büdinger Heuson-Museum bot zumindest Ansätze zum Umgang mit dem allgegenwärtigen Thema Rechtsextremismus. Wenn gleich sich auch hier zeigte, dass die Rechten an vielen Fronten kämpfen, auch an der juristischen.

Für den Kreispressesprecher Andreas Elsaß war der Nachmittag stressig: Nicht nur, weil er die Organisation für die Podiumsdiskussion zum Thema Rechtsextremismus in der Wetterau innehatte, sondern vor allem auch, weil er gerade erst grünes Licht aus Gießen bekam: Das Verwaltungsgericht hatte einer einstweiligen Anordnung stattgegeben, die es dem Kreis als Veranstalter gestattete, Anhänger rechten Gedankenguts von der Veranstaltung fernzuhalten.

Der Kreis war vorbereitet. Einige NPD-Anhänger, unter ihnen der Büdinger Stadtverordnete Daniel Lachmann, hatten sich zur Veranstaltung angemeldet. Auch für den Fall, vor dem Verwaltungsgericht zu scheitern, war der Veranstalter gerüstet: Notfalls sollte die Diskussion zu Gunsten einer alternativen Veranstaltung kurzerhand umgewidmet werden. Und der Kreis tat gut daran, schließlich versuchte Lachmann, unter anderem Geschäftsführer der NPD-Hessen, sich mit einem weiteren Rechtstitel Zugang zur Veranstaltung zu verschaffen. So ging die Gesprächsrunde letztendlich als Fachtagung mit der Humanistischen Union als Gastgeber vonstatten.

Es sprachen Andreas Balser von der Antifaschistischen Bildungsinitiative Wetterau (Antifa Bi), Angelika Ribler von der Sportjugend Hessen, der CDU-Landtagsabgeordnete Tobias Utter, Bundestagskandidat Stefan Lux (SPD) und Erster Kreisbeigeordneter Helmut Betschel-Für den Echzeller Verein „Grätsche Linz, Eva-Marleen Christoph und A gegen. Pflügel (Grüne) über den Umgang mit rechtsextremen Strukturen.

Rechte Musik als Lockmittel

Im Ergebnis: Gerade unter Jugendlichen sei Rechtsextremismus auf dem Vormarsch. Viele kämen unbewusst mit dem Thema in Berührung. Beispielweise verleite Musik aus der Szene, allmählich eine rechtsextreme Haltung anzunehmen. Das geschehe unbewusst: Texte würden nicht richtig verstanden und führten dennoch dazu, dass Jugendliche eine rechtsextreme Haltung annehmen. Das sei schließlich der Zeitpunkt, an dem sich die Jugendlichen von den Parolen der NPD begeistern ließen und von den Mitgliedern der rechten Szene abgefischt, sprich angeworben werden.

Dabei spiele auch der Altersdurchschnitt innerhalb der demokratischen Parteien eine Rolle. In der NPD fänden sich weitaus mehr Jüngere wieder, als in den demokratischen Parteien. Deshalb, so die Forderung der Diskussionsteilnehmer, sollte mehr Zeit und Geld in Bildung und Jugendarbeit investiert werden. Denn während früher in der Familie viel über Politik gesprochen wurde, sei dies heute stark zurückgegangen, müsse diese Arbeit heute in den Schulen geleistet werden.

„Es ist wichtig, dass man zum Beispiel bei den Texten rechtsextremer Musik Aufklärungsarbeit leistet“, meint Andreas Balser von der Antifa Bi. Die Musik diene häufig als Einstiegsdroge in die Szene. „Zwischen 10 und 20 Prozent der Jugendlichen hören diese Musik und denken sich nichts dabei“, gibt der Erste Kreisbeigeordnete Helmut Betschel-Pflügel zu bedenken. Doch die Aufklärungsarbeit zeige vermehrt Wirkung: Viele Jugendliche hätten Interesse an der Arbeit von Initiativen gegen Rechtsextremismus oder engagierten sich bereits selbst gegen rechts.

Ausländerfeindlichkeit weit verbreitet

Ein weit verbreitetes Phänomen liegt indes jenseits der extremistischen Sphäre: die Ausländerfeindlichkeit. Viele Menschen, die nicht der rechtsextremen Seite angehören, finden, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben. Dabei handele es sich, so Angelika Ribler von der Hessischen Sportjugend, um die Mitte der Gesellschaft — fast 50 Prozent der Deutschen empfänden dies so.

Für die Ursprünge dieser Tedenz hatte der Christdemokrat Tobias Utter zumindest eine Erklärung: „Ausländerfeindlichkeit ist eine Störung in der Persönlichkeit und resultiert aus verdrängten Ängsten.“ Die Menschen sollten dazu angehalten werden, sich zu fragen, wie viele der ausländischen Mitbürger tatsächlich unangenehm auffallen.

Vor allem das Thema Asylbewerber ist ein heißes Eisen: Auch wenn die Mitte der Gesellschaft nicht rechtsextrem sei, die weit verbreitete Feindlichkeit sei sehr bedenklich, meint Angelika Ribler. Viele Kommunen weigerten sich zum Beispiel, Asylbewerber aufzunehmen. „Man muss den Bürgern klar machen, dass jeder eine humanitäre Vri pflichtung gegenüber den Asylbewerbern hat“, pflichtet ihr der SPD-Bundestagskandidat Stefan Lux bei. Letztendlich haben, wohl beide Seiten eine Bringschuld: Sowohl Deutsche als auch Ausländer seien gehalten, aufeinander zuzugehen und sich mit der jeweils anderen Kultur zu beschäftigen, wie der Erste Kreisbeigeordnete Helmut Betschel-Pflügel ergänzte.

Auch war sich die Runde darüber einig, dass die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Kommunen im Kampf gegen Rechtsextremismus verbessert und ausgebaut werden müsse. Die Kooperation des Kreises mit der Antifa Bi oder auch der Sportjugend Hessen biete erste Ansätze, wie die Fachtagung gezeigt habe. Aktionen auf Bundesebene seien nicht genug, um umfassend zu informieren und Verbesserungen zu erreichen. Auch auf Landesebene müssten diese Bemühungen, so Ribler, ausgebaut werden.

Die Podiumsdiskussion erinnerte nicht zuletzt an die Ereignisse während der Reichspogromnacht 1938. Willi Luh, Ehrenvorsitzender des Geschichtsvereins Büdingen, rief den Zuhörern ins Gedächtnis, wie eine Büdinger Jüdin diese Schreckensnacht erlebte: Sie wurde damals von den Bürgern durch die Festungsstadt getrieben, bis sie ein Polizist schließlich in Schutzhaft nahm. Nicht zuletzt deswegen seien solche Fachtagungen wichtig. Und auch die Verleihung des Bundespreises für Demokratie und Toleranz, dotiert mit 2.000 Euro, an den Verein „Grätsche gegen Rechtsaußen“ aus Echzell – eben jenem Ort, in dem auch der Kopf der rechtsextremen „Old Brothers“ wohnt – zeigt, dass längst nicht alle bereit sind, Gewalt von rechts hinzunehmen.  

 

 © Mittelhessen Bote 21.11.2012

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