Kreis Anzeiger – „Zeigen, dass die Demokratie wehrhaft ist“
Geblieben ist die Erinnerung an die johlende Menge. Willi Luh war am 9. November 1938 dabei, als ein Metzgergeselle zur Jagd auf eine Jüdin blies. Etwa 15 Menschen schlossen sich dem Metzger an und jagten die vierfache Mutter durch die Schlossgasse, bis schließlich ein Lehrer eingriff und die Frau in Schutzhaft nahm. Wenige Tage später verließen die verängstigten Juden, es waren damals etwa 150, Büdingen. Die meisten zogen in Richtung Frankfurt und später nach Amerika. „Sie fühlten sich mit Büdingen sehr verbunden.“ Der Ehrenvorsitzende des Büdinger Geschichtsvereins plädierte dafür, dass in der noch erhaltenen Synagoge eine Gedenkstätte eingerichtet werden sollte.
Die Erlebnisse der Pogromnacht in Büdingen veranschaulichten, wie schnell sich aus einer Parole eine unkontrollierte und gewaltbereite Bewegung entwickeln kann. Die Fachtagung des Wetteraukreises im Zuge des XENOS-Projektes Hessen setzte genau dort an. Wie geht man mit rechtsextremen Strukturen um? Wie sensibilisiert und schützt man Jugendliche und sozial Schwächere? Wie ermutigt man sie, platte Parolen zu hinterfragen und nicht auf neu kreierte Definitionen der Geschichte hereinzufallen? In dem zweiten Teil, der von der „Humanistischen Union, Regionalverband Nord-Mittelhessen“ ausgetragenen Veranstaltung wurde zur Podiumsdiskussion eingeladen. Andreas Balser von der Antifaschistischen Bildungsinitiative Friedberg (Antifa-BI), Angelika Ribler von der Sportjugend Hessen, CDU-Landtagsabgeordneter und Präses des evangelischen Dekanats Wetterau, Tobias Utter, SPD-Bundestagskandidat Stefan Lux und Erster Kreisbeigeordneter und Sozialdezernent Helmut Betschel-Pflügel (Die Grünen) setzten sich mit den Ergebnissen der zuvor gebildeten Arbeitskreise auseinander.
Was könnte der von den Arbeitsgruppen viel geforderte „Runde Tisch“ zwischen Schule und Politik bedeuten? fragte Moderator Michael Elsaß den Sozialdezernenten Betschel-Pfügel. Bisher hätten die Bündnisse, ob in Friedberg, Echzell , Butzbach oder Büdingen, auf das Auftreten der Rechtsradikalen immer nur reagiert, entgegnete dieser. „Wir müssen es schaffen, dass wir eine flächendeckende Struktur in der Wetterau schaffen, um nicht Opfer der Rechtsradikalen zu sein, sondern um zu zeigen, dass diese Demokratie sehr wehrhaft ist.“ Also die begonnene Kooperation der Städte und Bündnisse weiter ausbauen.
Ein „Runder Tisch“ klingt für Stefan Lux abgedroschen. Eine Möglichkeit zum Austauschen zwischen den Kommunen böten beispielsweise Bürgermeisterdienstversammlungen. Lux erzählte aus dem Kreistag. Früher hätte man nicht auf die Anträge der NPD reagiert. Inzwischen sei man dazu übergegangen, dass sich eine demokratische Fraktion dazu äußere. Allerdings seien die Anträge der NPD inhaltslos und würden sich jährlich wiederholen.
Die Zusammenarbeit mit dem Wetteraukreis und den meisten Bürgermeistern lobte Andreas Balser von der Antifa-BI ausdrücklich. „Wir müssen in den nächsten Monaten dringend gemeinsam Strategien finden, um den Neonazis weitere Wirkungskreise und Rückzugsräume zu nehmen. Da muss schnell etwas passieren. Wir haben nicht alles erreicht, befinden uns aber auf einem guten Weg.
{gallery width=150 height=100 alignment=left-float padding=2}pics/preisverleihungbfdt{/gallery} Ein Beispiel für vorbildliche Zusammenarbeit zwischen den Organisationen: Die Vertreter des Echzeller Vereins „Grätsche gegen Rechtsaußen“ erhalten den Bundespreis für Demokratie und Toleranz im Wert von 2000 Euro für die Ausrichtung ihres Musikfestivals. Angelika Ribler (Sportjugend Hessen), Vereinsvertreter Manfred Linz, Eva-Marleen Christoph und Andreas Balser von der Antifa-BI (v.l.) zeigten in Büdingen stolz die Urkunde des Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt (BfDT), die sich überreicht bekamen.
© Kreis Anzeiger 13.11.2012


