Frankfurter Rundschau – Braune Volksbelustigung
Der Prozess gegen den als „Schlitzer“ bekannten Neonazi aus Echzell ist schon surreal genug. Jetzt wird er auch noch digital. Patrick W. muss sich wegen eines Youtube-Videos verantworten.
Im Frühjahr 2010 hat er die braunen Faxen endgültig dicke. Soeben musste Werner S., aktiv in der Echzeller Initiative „Grätsche gegen Rechtsaußen“, erfahren, dass die Überwachungskamera an seinem Haus verstellt wurde. „Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“ Der Verdacht fällt auf den Nachbarn Patrick W. und dessen rechte Truppe „Old Brothers“. Als just am selben Abend wieder mal eine Party gegenüber tobt, schnappt sich S. eine Leiter und will seinerseits die Kamera an W.s Hofreite wegdrehen. Was dann passiert, ist ab Juli 2010 auf der Internetplattform Youtube zu sehen.
Eine grölende Horde stürzt sich auf den damals 58-Jährigen, zerrt ihn von der Leiter, prügelt ihn zu Boden – und reißt ihm die Hosen vom Leib. Werner S. flüchtet halbnackt über die Straße in seinen Hof. Polizisten, die wegen der Party bereits zugegen waren, schauen dem Treiben tatenlos zu.
Die Attacke selbst ist nicht Gegenstand der Verhandlung am Landgericht Gießen. W.s Beteiligung sei anhand des Videos nicht nachweisbar gewesen, sagt der Anwalt von Werner S. auf Anfrage der Frankfurter Rundschau. Auch die Verfahren gegen die mutmaßlichen Schläger seien eingestellt worden, bestätigt die Staatsanwaltschaft Gießen. Am Dienstag geht es vielmehr um die Frage, ob derjenige, der das Video ins Internet stellte, gegen das Kunst-Urhebergesetz verstoßen hat. Dieser Jemand soll Patrick W. gewesen sein, seine Überwachungskamera hat den Vorfall aufgezeichnet.
Noch fünf Tage mehr
Eigentlich sollte der zehnte Sitzungstag der letzte sein im Prozess gegen den als „Schlitzer“ bekannten 26-jährigen Neonazi aus Echzell. Doch weil noch nicht alle der insgesamt etwa 60 geladenen Zeugen zu den sieben Anklagen – unter anderem wegen Volksverhetzung, Körperverletzung und Verstößen gegen das Betäubungsmittel- sowie das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz – gehört wurden, sind fünf weitere Termine anberaumt. Mit dem Urteil ist voraussichtlich am 3. Dezember zu rechnen.
Werner S. schildert ausführlich und gefasst, wie es zu dem Vorfall im Mai 2010 kam. Nachdem ein Nachbar ihm mitgeteilt hatte, dass jemand an seiner Überwachungskamera herumgedreht habe, sei er zunächst rüber zu W. gegangen, um mit ihm darüber zu sprechen. Dort war gerade eine große Party im Gange, auch die Polizei war schon da, offenbar weil sich andere Nachbarn über Lärmbelästigung beschwert hatten. W. habe zusammen mit zwei Polizisten im Hof gestanden, alle mit Getränken in der Hand, so S. Ein weiterer Polizist sei gerade im Haus gewesen, um seine bekleckerte Jacke zu reinigen.
Im Supermarkt erkannt
„So geht es nicht“, habe er zu W. gesagt. Doch dieser habe ihn einfach hinausbefohlen. „Dann bin ich einfach ausgerastet“, räumt S. ein. Er habe die Leiter geholt und sie an W.s Haus gestellt. Weiter kam er nicht, der Party-Mob fiel über ihn her. Die drei Polizisten hätten nichts dagegen unternommen, klagt S. Auf Nachfrage der FR revidiert die Friedberger Polizei diese Darstellung zumindest partiell. Wie man auf dem Video am Rande sogar sehe, habe ein Beamter sehr wohl versucht, den Pulk auseinander zu halten, sagt Sprecher Jörg Reinemer. Der zweite sei ein Praktikant und deswegen nicht befugt gewesen, einzuschreiten. Und der dritte habe sich in diesem Moment drinnen die Jacke abgewischt.
Trotz der Schürfwunden an Rücken und Hinterkopf, die er bei dem Angriff erlitt, habe er „im Grunde überhaupt nichts davon mitbekommen“, sagt Werner S. „Das ging so wahnsinnig schnell.“ Wirklich bewusst sei ihm das alles erst geworden, als Anfang Juli 2010, knapp zwei Monate nach der Tat, das Video auf Youtube erschien. Noch heute werde er darauf angesprochen, einmal sogar von einem wildfremden Jungen vor einem Supermarkt. „Das war das Schlimmste“, sagt er.
Ursprünglich sei der etwa sechsminutige Streifen sogar mit Sprechblasen versehen gewesen, in denen höhnische und obszöne Kommentare eingefügt waren, schildert S. nach seiner Vernehmung im Gespräch mit der FR. Die Version, die auf dem Laptop am Richtertisch in Augenschein genommen worden sei, habe jedoch keine Sprechblasen mehr enthalten – was die Geschichte kaum erträglicher mache.
Der Richter verliert die Geduld – langsam
Mehrfach habe er versucht, das Video aus dem Netz zu bekommen. Vergeblich. Vor drei Wochen, Ende September, teilte Youtube dem Anwalt des 60-Jährigen dann endlich mit, dass der „betreffende Punkt“ in Deutschland gesperrt worden sei. Es könne jedoch noch „etwas dauern“, bis das Video nicht mehr angezeigt werde, verliest der Vorsitzende Richter Dietwin Johannes Steinbach die Erklärung. Und über ein Passwort kommt man ohnehin auch künftig weiter an den Clip, der zudem längst noch anderswo durchs World Wide Web wabert. „Das kriegt man da nicht mehr raus“, meint S. „Ich kann es nicht verstehen, dass Menschen so etwas zur Volksbelustigung ins Internet einstellen.“
Patrick W. bestreitet, dies unter dem Pseudonym „pauldeprinz“ getan zu haben – und widerspricht damit dem, was er ausgesagt hatte, als die Polizei vor seiner Tür stand, um eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Damals habe er die Sache nur deswegen zugegeben und falsche Angaben gegenüber den Polizisten gemacht, „damit die mir nicht wieder die ganze Bude auseinandernehmen“. Tatsächlich nämlich habe er die Aufnahme bloß von einem Bekannten digitalisieren lassen. Wer denn dann „pauldeprinz“ sei, will Richter Steinbach wissen. „Das hätten Sie ja rausfinden können“, antwortet W. und schiebt hastig noch ein „oder die Polizei“ hinterher. Steinbach, der bislang bemerkenswert viel Geduld mit dem zuweilen vorlauten Angeklagten hatte, weist ihn barsch in seine Schranken.
„Ein netter junger Mann“
Irgendwann habe jeder das Video gehabt, sagt W. Und „irgendwer“ habe es dann unter dem Pseudonym „pauldeprinz“ hochgeladen und es ihm angehängt. „Ich bin ja mittlerweile mit einigen verstritten.“
Mit Werner S. zum Beispiel. Anfangs habe er sich gut mit W. verstanden und sich um eine angenehme Nachbarschaft bemüht, sagt der 60-Jährige aus. „Das war ein netter junger Mann, als er zu uns in die Straße zog.“ Doch das gute Verhältnis „bröckelte aufgrund seiner Aktionen“. Seine rechtsextreme Gesinnung sei immer deutlicher geworden. Die Tattoos, die Kampfhunde, die Deko-Waffen, die „Old Brothers“, die nachts Parolen auf der Straße brüllten und die Nachbarn aus dem Schlaf schreckten.
Damit wird auf jeden Fall Schluss sein, egal ob der 26-jährige „Schlitzer“, der bereits seit März in der JVA Gießen einsitzt, zu einer weiteren Haftstrafe verurteilt wird oder nicht. Am 15. Oktober ist sein Hofreite zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben.
© Frankfurter Rundschau 9.10.2012
- Frankfurter Neue Presse – Angeklagter streitet alles ab
- Wetterauer Zeitung – Keine Kriegswaffen bei Patrick Wolf gefunden
- Wetterauer Zeitung -Geständnis: Kiloweise Drogen für den »Schlitzer« gekauft
- Wetterauer Zeitung – »Schlitzer« zeigt dem Gericht seine Tattoos
- Frankfurter Rundschau – Hitler unter der Haut
- Kreis Anzeiger – Echzeller weist jede Schuld von sich
- Frankfurter Rundschau – Vergessene Kopfnuss
- Frankfurter Rundschau – Hakenkreuze und Glatzentreffen
- Wetterauer Zeitung – Prozess: Unter Duschköpfen im »Brausebad« gefeiert?
- Frankfurter Rundschau – Das Schluchzen des Schlitzers
- Wetterauer Zeitung – Patrick Wolf will nicht zurück in die Wiesengasse
- Wetterauer Zeitung – Idee der Wolf-Clique: »Zerballern wir die Karre«
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- Wetterauer Zeitung – Prozess gegen Wolf: Polizist mit Deckname »Kai« sagt aus
- Frankfurter Rundschau – Waffenreplika als Deko
- Frankfurter Neue Presse – Für den „Schlitzer“ wird‘s ernst
- Wetterauer Zeitung – Zeuge: Amphetamin wie Erdnüsse serviert
- Wetterauer Zeitung – »Schlitzer« gibt Drogengeschäfte teilweise zu
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- Kreis Anzeiger – „Gaskammer-Party“, Drogen und etliche Waffendelikte
- Wetterauer Zeitung – Prozess gegen den »Schlitzer« beginnt
- Frankfurter Rundschau – Weg mit den Nazi-Tattoos
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- Frankfurter Neue Presse – Als der „Schlitzer“ ins „Brausebad“ einlud
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- Wetterauer Zeitung – Mit dem »Schlitzer« 5 Kilo Drogen gekauft
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