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Presseberichte

Frankfurter Neue Presse – Angeklagter streitet alles ab

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Prozess gegen Neonazi aus Echzell wird vor Gießener Landgericht wegen weiterer Vergehen fortgesetzt

Der Neonazi aus Echzell, der sich gelegentlich selber „der Schlitzer“ nennt, muss sich zurzeit unter anderem auch wegen versuchter schwerer Körperverletzung und der öffentlichen Zurschaustellung von verfassungsfeindlichen Symbolen vor dem Landgericht in Gießen verantworten.

Beide Anklagepunkte stritt er vor der 7. Strafkammer rundweg ab. Nie habe er versucht, einen Menschen zu überfahren, so wie ihm das die Anklage vorwirft. Von dem in der Anklage beschriebenen Vorfall, nachdem er Anfang vergangenen Jahres den 16-jährigen Sohn der Nachbarfamilie mit seinem Auto zu überfahren versucht haben soll, wisse er nichts. Der Fall sei seines Erachtens von seinen Nachbarn vielmehr konstruiert worden und entspreche nicht den Tatsachen. Ganz anders erinnert sich dagegen der 16-Jährige an den Vorfall.

Er habe abends nach 22 Uhr auf Bitten seiner Mutter noch das Handy einer befreundeten Nachbarin aus dem Auto seiner Eltern holen sollen. Die Nachbarin hatte sich das Fahrzeug kurz zuvor ausgeliehen und dabei ihr Telefon darin vergessen. Nachdem der 16-Jährige das Handy an die Nachbarin übergeben und diese danach schon auf dem Heimweg war, sei plötzlich ein Taxi mit sehr hoher Geschwindigkeit um die Ecke in die Wiesengasse eingebogen. Am Steuer: der Angeklagte.

Nur durch einen spontanen Schritt zurück zu dem Auto seiner Eltern habe sich der 16-Jährige, der zu diesem Zeitpunkt mitten auf der Straße stand, aus der Gefahrenzone bringen können. Das Taxi habe nicht etwa angehalten, sondern sei mit unvermindert hoher Geschwindigkeit weitergefahren. Auf Nachfrage des Gerichts verwickelte sich der Junge jedoch in Widersprüche, wie auch anschließend die Nachbarin, die den Vorfall genau beobachtet haben will.

Tatzeit umstritten

Nach ihrer polizeilichen Aussage hätte sie das aber gar nicht tun können, da sie sich zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht mehr in der Wiesengasse befand. Auch der Junge versicherte vor Gericht, dass er ziemlich sicher den Tatzeitpunkt auf 22 Uhr festlegen könne. Erst als ein Video einer Überwachungskamera der Nachbarn mit 22.53 Uhr das Aussteigen das Aussteigen aus dessen Fahrzeug zeigte, meinte der 16-Jährige, sich in der Uhrzeit wohl vertan zu haben und dass der Vorfall sich gegen 23 Uhr abgespielt habe. Dabei zeigte das Video nicht einmal den besagten Vorfall, sondern lediglich das Aussteigen des Angeklagten aus seinem Fahrzeug. Verteidiger Jürgen Häller vermutete deshalb das Vorliegen einer Absprache unter der Nachbarschaft aus Rache gegenüber seinem Mandanten.

Ob das Gericht ähnlich verfährt wie in der vergangenen Woche, als es einen weiteren Anklagepunkt gegen den Neonazi wegen Körperverletzung fallen lassen musste, da der Sachverhalt – er soll einem Türken eine Kopfnuss auf einer seiner Partys verabreicht haben – vor Gericht nicht hinreichend aufgeklärt werden konnte, steht noch nicht fest. Allerdings wog der Vorwurf in Sachen Kopfnuss nicht ganz so schwer, wie der Versuch, einen Menschen überfahren zu wollen. Vermeintlich klarer liegt der Vorwurf der Staatsanwaltschaft dagegen bei der öffentlichen Zurschaustellung von verfassungsfeindlichen Symbolen. Im April vergangenen Jahres sei der Angeklagte von einem Freund zur Hilfe gerufen worden, weil dieser im betrunkenen Zustand Stress in der psychiatrischen Klinik in Friedberg gemacht habe.

Davidstern am Galgen

Weil es dem Angeklagten an dem Abend zu warm war, zog er kurz entschlossen seinen Kapuzen-Pullover aus und lief nur mit einem kurzärmligen T-Shirt bekleidet ins Krankenhaus. Dort bemerkten die Polizisten unteren den zahlreichen Tätowierungen an seinen Armen auch einen Galgen, an dem ein Davidstern hing. In ihm war zusätzlich ein kleiner Mensch abgebildet. Er habe die Tätowierung nicht absichtlich zeigen wollen, sondern habe sie nur im Trubel vergessen abzudecken. Ansonsten trüge er entweder ein Hemd darüber oder er übermale das Tattoo. Warum er das denn tue, wollte daraufhin das Gericht wissen. „Ich weiß doch, was verboten und was erlaubt ist“, versuchte sich der Angeklagte zu rechtfertigen. Mit rechtsgerichteten Parolen habe das jedoch nichts zu tun. Ansonsten „hätte ich mir doch einen Rabbi am Galgen auf den Arm tätowiert“.

 Ein x-beliebiger Stern an einem Galgen verstoße sicherlich gegen keinen Paragrafen. Auf sein Anerbieten zog er schließlich vor der Richterbank sein Hemd aus, so dass das Gericht die Tätowierung selber in Augenschein nehmen konnte. Der Prozess wird in den kommenden Tagen fortgesetzt.

 © Frankfurter Neue Presse 4.10.2012

 

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