Wetterauer Zeitung – Prozess: Unter Duschköpfen im »Brausebad« gefeiert?

Am fünften Verhandlungstag gerät der Prozess gegen den Neonazi „Schlitzer“ aus Echzell vollends durcheinander: Zeugen und Angeklagter belasten sich gegenseitig und liefern zig widersprechende Versionen diverser Episoden rund um Drogenbesitz und Waffennarretei.
Drogen und Waffen. Die beiden Anklagen, die die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz beinhalten, sind vorerst abgehakt. Knapp 20 Zeugen waren geladen, ungefähr ein Drittel davon Polizisten. Einzelne Aussagen werden noch nachgeholt, etwa die eines Sachverständigen des LKA, der beurteilen soll, ob ein beim Angeklagten gefundener Lauf eines Maschinengewehrs in eine funktionsfähige Waffe hätte umgebaut werden können.
Am Ende des fünften und bislang längsten Verhandlungstages des Prozesses am Gießener Landgericht gegen Patrick W. aus Echzell nimmt dieser Stellung zu den Vorwürfen – und kämpft plötzlich mit den Tränen. Es passt nicht ganz in das Bild, das bislang von dem unter dem Spitznamen „Schlitzer“ bekannten Neonazi gezeichnet wurde, sowohl von anderen, als auch von ihm selbst.
Zeugen haben ihn beschrieben als einen, der kein Geheimnis mache aus seinen Geschäften und Aktivitäten, der sogar regelrecht damit prahle. Polizisten zufolge ist er der unangefochtene Kopf der rechten Truppe „Old Brothers“, der gern den „großen Macker“ markiere und jede Möglichkeit nutze, sich in den Mittelpunkt zu drängen. Der 26-Jährige hatte sich während der Verhandlung selbst als „sehr dominant“ bezeichnet. Er sei nun mal der „Schlitzer“ und als solcher bekannt in seiner Heimatgegend.
Vor Gericht ist er bislang souverän, fast locker aufgetreten. Er war immer gut vorbereitet und kannte sich aus in den Prozessakten. Er befragte und korrigierte Zeugen und andere Prozessbeteiligte, war bisweilen vorlaut und flapsig. Oft grinste er hinüber in den Zuschauerraum, wo hinter der Panzerglasscheibe immer mindestens ein Dutzend seiner Anhänger den Prozess verfolgen, darunter seine Ehefrau.
An sie wendet sich Patrick W. auch am Dienstag in seiner Einlassung zu den Drogendelikten, die ihm vorgeworfen werden. Vor allem ihretwegen täte ihm das alles „so leid“. Anfangs sei das ja „nur Spaß“ gewesen, überhaupt hätte er vor August 2010 Drogen nie angerührt. „Und bevor ich mich versehen hatte, war ich da mittendrin.“ Mittendrin im Betäubungsmittelgeschäft. Er habe das lange „nicht realisiert“, es sei ihm nicht gelungen, sich „aus der ganzen Situation zu lösen“. Das habe er erst in der Haft „bewusst geschafft“. Seine Stimme zittert, er schluchzt. Die Verhandlung wird unterbrochen.
Kokain in Wurstdosen
Ansonsten wird an diesem fünften von zehn Prozesstagen, in denen sieben Anklagen gegen W. verhandelt werden, unter anderem eines deutlich: Fast sämtliche der geladenen Zeugen, die aus W.s Dunstkreis stammen und nun gegen ihn aussagen sollen, haben selbst irgendwelche Verfahren am Hals, sei es wegen Drogen, Körperverletzung oder Diebstahl. Nun belasten sie ihren alten Kumpel – und der belastet sie. Es scheint, als wolle jeder den anderen reinreiten, um selbst glimpflicher davonzukommen.
Dabei geht es um den Schießraum in W.s Hofreite, in dem mit einer Maschinenpistole und weiteren Waffen herumgeballert wurde. Es geht um ein mit einer Schrotflinte zu Schrott geschossenes Auto. Es geht um Pistolen, Revolver und Gewehre, Replika und funktionsfähiges Schießgerät. Es geht um einen Haufen Munition verschiedenen Kalibers. Und es geht um einen Schießkugelschreiber. Und außerdem noch um Kokain in Wurstdosen und Amphetaminpaste in Brotlaib-Format. Wer davon aber was, wann und wo erworben, besessen, benutzt, angeschleppt oder verteilt haben soll, da gehen die Auskünfte auseinander.
Der Hauptbelastungszeuge gibt an, er habe „viel Scheiße gebaut“ in seinem Leben, und genau damit habe er „abschließen“ wollen, auch wegen seines kleinen Kindes. Zweimal war er seiner Ladung nicht gefolgt, am Dienstag sagt er schließlich im Beisein seines Anwaltes aus.
Den eigenen Arsch retten
„Haben Sie Angst vor dem Herrn W.?“, will der Vorsitzende Richter Dietwin Johannes Steinbach wissen. Und Staatsanwältin Carina Häublein fragt, ob er wegen seiner Aussage von jemandem „angegangen“ worden sei. Beides verneint der 26-Jährige, der als erster umfangreich bei der Polizei gegen W. auspackte, sowohl im Hinblick auf Drogen, als auch auf Waffen, mit denen der „Schlitzer“ zu tun gehabt haben soll.
Anlass war der Umstand, dass der Zeuge im April 2011 selbst verhaftet wurde, unter anderem wegen des Vorwurfs des bandenmäßigen Diebstahls zusammen mit zwei anderen Männern. Diese hatten zuvor schon gegen W. ausgesagt – und dabei offensichtlich versucht, ihren „Old Brother“ nicht mehr als nötig zu belasten. Anders als ihr mutmaßlicher Kompagnon. Beim Verhör nach seiner Verhaftung bezichtigte er W. des Drogenhandels und des Waffenbesitzes. Laut Polizei bot er von sich aus an, zum Schein den Kauf einer Maschinenpistole anzubahnen, um W. zu überführen. „Ich wollte meinen Arsch retten“, sagt der 26-Jährige. Sprich: Für die Kooperation mit der Polizei erhoffte er sich im Gegenzug, dass eine ihm drohende Haftstrafe in eine Geldstrafe umgemünzt werde – was auch geschah, wie der Zeuge bestätigt.
Der Deal mit der Maschinenpistole geschah dagegen nicht. Der Zeuge sei in der Sache „eigeninitiativ vorangeprescht“, schildert einer der ermittelnden Beamten. So sei er unmittelbar nach seiner ersten Vernehmung zu W. gefahren und habe diesem erzählt, er habe einen Interessenten für eine MP an der Hand. Dann habe er auch noch 500 Euro Anzahlung aus eigener Tasche auf den Tisch geblättert. Der Zeuge, sagt der Polizist, habe dabei „ohne Absprache“ gehandelt.
Wanze oder Waffe
W. bestreitet, dass der Zeuge überhaupt so gehandelt hat. Er sei an diesem Abend vielmehr zu ihm gekommen und habe ihm einen Zettel in die Hand gedrückt mit der Aufschrift: „Deine Wohnung ist verwanzt“. Außerdem habe der Zeuge ihm verständlich gemacht, dass ihm die Polizei auf den Fersen sei. 500 Euro habe es nicht gegeben und auch nicht die Möglichkeit, dass er eine MP hätte besorgen können.
Statt einer Waffe präsentierte der Zeuge der Polizei bald darauf vier rote Ecstasy-Pillen, die er angeblich von W. „zum Probieren“ bekommen habe. Außerdem schleuste laut Polizei der Zeuge den verdeckt ermittelnden Beamten „Kai“ ein, der 10.000 Pillen von W. kaufen wollte. Auch dies misslang, offenbar weil W. Verdacht schöpfte.
Wenige Monate später schwärzte dieser seinerseits den Zeugen an, worauf am 16. November 2011 dessen Haus und Grundstück durchsucht und unter anderem eine Waffe sichergestellt wurde. So geht es aus den Akten hervor. Zwei Tage später, am 18. November 2011, wurde W. aus der U-Haft entlassen, in der er gesessen hatte, seit die Polizei Anfang Juli 2011 einen Rucksack mit 4,5 Kilo Amphetamin und mehr als einem Pfund Marihuana bei ihm sicherstellte.
Und Patrick W. kreidet dem Zeugen („Ich hasse den.“) in seiner Einlassung am Dienstag noch Weiteres an: So sei er es gewesen, der im Winter 2010/2011 eines Abends mit einer schwarzen Tasche in seiner Hofreite auftauchte, eine Maschinenpistole – vermutlich eine britische Sten Gun – auspackte, sie im Wohnzimmer zusammenschraubte und dazu aufforderte, in W.s Schießraum zu gehen. Mit dabei laut W.: die beiden Männer, die mit denen sich der Hauptbelastungszeuge noch wegen bandenmäßigen Diebstahls verantworten muss.
Drogenkauf in Polen
Deren Versionen der MP-Episode im Schießraum, die sie bereits am vorangegangenen Verhandlungstag mehr oder weniger bereitwillig vor Gericht geschildert hatten, klingen etwas anders. Sie unterscheiden sich dabei sowohl von der des Zeugen, mit dem gemeinsam sie noch eine andere Sache durchzustehen haben, als auch von der Ws., den sie nach wie vor als ihren Freund bezeichnen. Denn während der Hauptbelastungszeuge nie „Member“ der „Old Brothers“ war, gehören die beiden anderen offenbar zum harten Kern der Szene – was zum Beispiel deren Tattoos nahelegen.
Im Zusammenhang mit den drei Männern spricht W. auch über Kokain, das unter Wurstbrät in Dosen versteckt in der Szene gereicht worden sei. Außerdem behauptet W., dass der Hauptbelastungszeuge ihm die MP zum Kauf angeboten, sie dann aber anderweitig verscherbelt habe, um zu Geld für einen Drogeneinkauf in Polen zu kommen.
Dass im Schießraum in W.s Hofreite geschossen wurde, belegen die 39 Projektileinschläge und die 17 Geschosse unterschiedlichen Kalibers, die noch in den Löchern in der Wand steckten, gibt der ermittelnde Polizeibeamte die sichergestellten Beweismittel zu Protokoll. Funktionsfähige Waffen wurden bei den diversen Hausdurchsuchungen in W.s Hofreite und in seinem Tattoostudio allerdings nie gefunden, lediglich Replika und unbrauchbar gemachtes Deko-Gerät, sowie mehrere hundert Patronen für unterschiedliche Waffentypen.
W. sagt nun, dass der Hauptbelastungszeuge nicht nur mit der MP „im Dauerfeuer über die Wand“ geballert habe, sondern noch weitere Waffen in seiner schwarzen Tasche angeschleppt habe. W. spricht von „drei, vier Pistolen“. Er selbst aber habe diese Waffen jedenfalls nie besessen.
Gefährlicher Kuli-Kauf
Genauso wenig wie die doppelläufige Schrotflinte, mit der sein alter Golf auf seinem Grundstück zusammengeschossen wurde. Diese Flinte habe wiederum ein anderer Zeuge, der am vorherigen Verhandlungstag ausgesagt hatte, von seinem Onkel ausgeborgt und mitgebracht. Zwei Schuss Munition seien dabei gewesen, so W. Weil der Onkel habe wissen wollen, was damit passiere („Der wollte einfach sicher gehen, dass wir damit nicht auf Katzen oder Vögel ballern.“), habe sein Neffe die Aktion mit der Handykamera dokumentiert. Ob er das Video dann auch seinem Onkel zeigte, ist nicht klar. Der Zeuge bestreitet nämlich, dass sich das Ganze so zugetragen und er die Flinte beschafft hat. Klar ist allerdings, dass er die Aufnahme der Polizei übergab. Denn auch er erhoffte sich aus einer Kooperation offenbar Vorteile in einem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren. So will er außerdem bei W. an zwei verschiedenen Tagen geschätzte zwei Kilo Amphetaminpaste gesehen haben, die „aussah wie weißes Brot“.
Im Gerichtssaal wird das Video in Augenschein genommen. Zwar ist darauf nicht zu sehen, wer die Schüsse auf das Auto abgab, doch W. räumt ein, dass er es gewesen sei. Ebenso räumt er den Besitz von Munition verschiedenen Kalibers ein sowie den eines Schießkugelschreibers. Den habe er auf einer Waffenmesse gekauft, er sei nun mal ein Waffenliebhaber und kenne sich gut aus. „Den Kuli hat es gegeben, doch funktioniert hat er nicht.“
Der Opa im Supermarkt
Auch wenn er den Besitz und Kauf von echten Waffen bestreitet, zeigt er sich geradezu verständnisvoll dafür, dass man ihm solche Vorwürfe macht. „Eine Zeitlang habe ich jeden Monat von irgendeinem Durchgepeitschten was angeboten bekommen.“ Als Beispiel nennt er einen „Opa“, der ihn im Supermarkt gefragt habe, ob er nicht eine alte Weltkriegswaffe kaufen wolle. „Du bist doch so einer.“
Auch auf die Drogendelikte, die ihm vorgeworfen werden, geht W. in seiner, diesen sowie den Waffenkomplex abschließenden Einlassung ein. Vieles gibt er zu, bestreitet aber unter anderem, Mengen in Brotlaib-Größe besessen und das Amphetamin mit Koffeinpulver gestreckt zu haben.
Am nächsten Verhandlungstag am Freitag geht es los mit dem Anklagenkomplex wegen Volksverhetzung.
© Wetterauer Zeitung 22.09.2012
- Frankfurter Rundschau – Das Schluchzen des Schlitzers
- Wetterauer Zeitung – Patrick Wolf will nicht zurück in die Wiesengasse
- Wetterauer Zeitung – Idee der Wolf-Clique: »Zerballern wir die Karre«
- Wetterauer Zeitung – Prozess gegen Patrick Wolf: Waffennarr ohne Waffen?
- Wetterauer Zeitung – Prozess gegen Wolf: Polizist mit Deckname »Kai« sagt aus
- Frankfurter Rundschau – Waffenreplika als Deko
- Frankfurter Neue Presse – Für den „Schlitzer“ wird‘s ernst
- Wetterauer Zeitung – Zeuge: Amphetamin wie Erdnüsse serviert
- Wetterauer Zeitung – »Schlitzer« gibt Drogengeschäfte teilweise zu
- Kreis Anzeiger – Gleich sieben Anklagen in einem Verfahren
- Kreis Anzeiger – „Gaskammer-Party“, Drogen und etliche Waffendelikte
- Wetterauer Zeitung – Prozess gegen den »Schlitzer« beginnt
- Frankfurter Rundschau – Weg mit den Nazi-Tattoos
- Frankfurter Rundschau – Hakenkreuze und MG
- Wetterauer Zeitung – Maschinengewehr beim »Schlitzer« entdeckt
- Wetterauer Zeitung – »Schlitzer« Patrick Wolf wird in Kürze vor Gericht gestellt
- Frankfurter Neue Presse – Als der „Schlitzer“ ins „Brausebad“ einlud
- Wetterauer Zeitung – »Schlitzer« Patrick Wolf ist seit Montag wieder in Haft
- Wetterauer Zeitung – Bombendrohung gegen Antifa-BI-Vorsitzenden
- Wetterauer Zeitung – Mit dem »Schlitzer« 5 Kilo Drogen gekauft
- Wetterauer Zeitung – Verdacht auf Drogenhandel
- Bild – Hessens Obernazi in Haft
- Frankfurter Rundschau – Neonazi in Haft
- HR Online – Neonazi wegen Drogen verhaftet
- Wetterauer Zeitung – Verdacht auf Drogendeal: »Schlitzer« verhaftet
- Wetterauer Zeitung – Ermittlungen wegen »Gaskammerpartys«
- Frankfurter Rundschau – Vergasung als Partygag
- Wetterauer Zeitung – Thema Wiesengasse »Wieso greifen die Behörden nicht ein?«
- Wetterauer Zeitung – 58-Jähriger von Rechtsetxremen angegriffen


