Brauner Ärger vor der Tür
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Frankfurter Neue Presse – Brauner Ärger vor der Tür

Brauner Ärger vor der Tür

Bürger wehren sich gegen Neonazis

Von Carolin Eckenfels 

Die Lust auf Weihnachtsschmuck ist der Bewohnerin der Echzeller Wiesengasse vergangen. Wegen der Neonazis. Ihr Nachbar ist ein Anhänger der rechten Szene und sorgt schon länger für Unfrieden in der Straße, die mit ihren Fachwerkhäusern eine nette Wohngegend sein könnte. Für die Anrainer hätte es eine ruhige Adventszeit werden können, wenn der Mann nicht aus der U-Haft entlassen worden wäre – ausgerechnet in den Tagen, als das Thema Rechtsextremismus ganz Deutschland aufschreckte. „Da fühlt man sich schon alleine gelassen“, sagt die Nachbarin, für die Lichterglanz im Fenster und braunes Treiben vor der Tür nicht zusammenpassen.

1450 Rechtsextremisten in Hessen

Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass es 1450 Rechtsextremisten in Hessen gibt. Experten nennen als einen Schwerpunkt der Rechten in Hessen den Wetteraukreis. Dort liegt auch Echzell. Viele Aktivitäten gehen von dem Anhänger aus der Wiesengasse und seiner Clique aus, wie Lisa Gnadl, SPD-Landtagsabgeordnete für die Wetterau, berichtet. „Neben dieser Szene gibt es eine Reihe von NPD-Schwerpunkten vor allem in der östlichen Wetterau.“ Im Kreistag sitzen zwei NPD-Vertreter.

„Für die Region heißt das, dass wir eine starke Vernetzung aller Demokraten brauchen, eine gute Aufklärungsund Bildungsarbeit, eine ständige Beobachtung der rechten Szene und ein Frühwarnsystem, damit Rechtsextreme zum Beispiel keine Räume für Läden vermietet bekommen. Ich denke, das ist uns in der Wetterau sehr gut gelungen“, sagt Gnadl.

Wetteraukreis als Schwerpunkt

In Echzell engagiert sich der Verein „Grätsche gegen Rechtsaußen“. Mittlerweile gibt es zudem einen vom Bund geförderten lokalen Aktionsplan, bei dem die Gemeinde mit drei Nachbarorten zusammenarbeitet. Seitdem die braune Terrorzelle aus Thüringen aufgeflogen ist, interessiert sich auch die breitere Öffentlichkeit für die Probleme hier. „Wir begrüßen die momentane Medienpräsenz des Themas und dass sich die breite Masse nun damit auseinandersetzt“, sagt die Sprecherin der „Grätsche“, Sabrina Lauster.

Das trübe Spätherbstwetter passt zur Stimmung in der Wiesengasse. Sie liegt im Nebel, ruhig und leer. Das ist nach Erzählungen von Anwohnern häufig anders, dann wird dort gefeiert und die Straße ist zugeparkt von Autos, die die 88 im Kennzeichen tragen. Unter Neonazis steht das für „Heil Hitler“.

Bürger setzen sich zur Wehr

Der rechte Nachbar zog 2007 her. Die ersten Jahre waren Anwohnern zufolge entspannt. Dann kam es zum Streit – zunächst wegen der Partys. Schließlich sei ein Anwohner verprügelt worden. Die Bürger schlossen sich zur Initiative „Grätsche“ zusammen, die jetzt ein Verein ist. Mit Aufklärung, Aktionen wie Festivals oder Zusammenarbeit mit Schulen und Vereinen wollen die Mitglieder vor allem Kinder und Jugendliche von der rechten Szene fernhalten – oder sie wieder herausbekommen. 

Im Juli kam der ungeliebte Nachbar wegen mutmaßlicher Drogengeschäfte in U-Haft. „In der Wiesengasse wurde es wesentlich ruhiger. Aber es war klar, dass das Problem nicht erledigt sein würde“, sagt Sabrina Lauster. Jetzt ist er – wenn auch von einer elektronischen Fußfessel bewacht – wieder da. Und die Kumpels ebenso. „Wir waren fassungslos, als er wieder in sein Haus spazierte“, sagt Lauster. Da verliere man doch jeden Glauben ins Rechtssystem.

Glauben ans Rechtssystem verloren

Andreas Balser, Vorsitzender des Vereins „Antifaschistische Bildungsinitiative“, stuft die Gruppe um den Wiesengassen-Bewohner als extrem rechts und auch gewaltbereit ein. Nach Gründung der Initiative seien Mitglieder „massiv bedroht“ worden, das sei „ziemlich beängstigend“. Er hofft, dass das Thema Rechtsextremismus jetzt länger in den Medien bleibt. Es habe auch Zeiten gegeben, in denen es trotz Gewalttaten der Szene niemanden interessiert habe. „Das ist teils schon beschämend.“

Der Verfassungsschutz geht in seinem Bericht für das Jahr 2010 davon aus, dass von den 1450 Rechtsextremisten in Hessen 300 NPD-Mitglieder und 250 Neonazis sind. Gewaltbereit sind demnach etwa 400 Szene-Anhänger. Der Verfassungsschutz listet darin auch verschiedene Gruppen von Neonazis auf. Sie agierten vor allem regional im Schwalm-Eder-Kreis, im Raum Kassel, Main-Kinzig-Kreis, Rhein-Main-Gebiet – oder in Wetzlar.

Gewalt von rechts auch in Hessen

In der mittelhessischen Domstadt verübten jugendliche Neonazis im März 2010 einen lebensgefährlichen Anschlag auf das Haus eines Kirchenmitarbeiters, der sich gegen Rechts engagiert. Sie warfen einen Molotowcocktail gegen die Eingangstür, sie fing Feuer, ebenso ein Vorhang im Flur.

Der Anschlag galt Joachim Schaefer. Der 50-jährige Seelsorger kümmert sich um Migranten, um Jugendliche, setzt sich in lokalen Bündnissen für Toleranz ein und mit Neonazis auseinander. Er filmt sie bei Aufmärschen und Aktionen und dokumentiert im Internet die rechtsradikalen Umtriebe. Er engagierte sich auch dann noch, als es erste Drohungen und Farbanschläge auf sein Haus gab. „Ich bin halt Seelsorger. Ich mache das, um Jugendliche bei der Gestaltung der Lebensumwelt mitzunehmen. So sind auch diese Jugendlichen eine Zielgruppe für mich und ich versuche, sie vielleicht auch zur Demokratie zu bekehren“, sagt er.

Schmierereien in Wetzlar

In der Nähe seines Arbeitsplatzes steht der Dom von Wetzlar. Vor wenigen Monaten war auch er Ziel einer Aktion von Neonazis. Auf der hellen Fassade prangten plötzlich große Hakenkreuze, außerdem Schriftzüge wie „Rudolf Heß – Märtyrer“ oder „Nationaler Sozialismus bis zum Sieg.“

Der Brandanschlag auf Schaefer ging glimpflich aus. Getroffen wurde allerdings nicht Schaefer, sondern dessen Familie. Der Pastoralreferent lebte zum Tatzeitpunkt bereits von seiner Frau getrennt und wohnte gar nicht mehr bei ihr und den Kindern. Sie hatten Glück: Das Feuer konnte schnell gelöscht werden, niemand wurde – zumindest körperlich – verletzt. Die Täter sind mittlerweile rechtskräftig verurteilt. Schaefer sagt: „Das sind jetzt Märtyrer in der rechtsradikalen Szene. Die kommen gestärkt aus der Haft wieder raus.“

Mit wenig Fingerspitzengefühl

Schlimm war für Schaefer nicht allein der Anschlag, sondern auch das Verhalten in seinem Umfeld, wie der 50-Jährige erzählt. Die Polizei habe mit wenig Fingerspitzengefühl ermittelt, von der Stadt sei er erst nach dem Brand ernst genommen worden. Vorher sei er als Querulant angesehen worden, der das Thema Neonazis aufblase. „Das ärgert mich sehr.“ Wie die Echzeller findet auch Schaefer, dass man als Engagierter gegen Rechts doch eher alleine ist: „Die besondere öffentliche Aufmerksamkeit jetzt wird auch wieder vergehen. In zwei Wochen nerven wir dann doch wieder.“

© Frankfurter Neue Presse 2011

 

 

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