FAZ – Unruhestifter an der Wiesengasse in Gettenau
Seit ein vermutlich Rechtsextremer in Echzell lebt, kommt es häufiger zu Nachbarschaftsstreitereien. Am Wochenende organisierte eine Bürgerinitiative ein „Festival gegen Rechtsaußen“, zu dem auch Landespolitiker kamen. Die Wagenhalle der Freiwilligen Feuerwehr Echzell ist leergeräumt. Weder der Kommandowagen, noch die zwei Löschfahrzeuge stehen an diesem Samstagnachmittag in der Halle. Stattdessen üben dort fünf Mädchen des Hip-Hop- Workshops einen Tanz. In der anderen Hälfte betrachtet eine Handvoll Besucher Schaubilder der Ausstellung „Demokratie stärken, Rechtsradikalismus bekämpfen“. Vor einem Schaubild zum „Rechtsextremen Weltbild“ steht eine Mutter mit ihrem Sohn und liest Zeitungsausschnitte, die von Angriffen auf Farbige, Homosexuelle und Behinderte berichten. „Schau mal hier“, sagt die Mutter zu ihrem Sohn, „es kann mir doch keiner erzählen, dass die Recht haben.“
„Die“, das sind Rechtsextreme – im Allgemeinen wie in der Ausstellung, aber besonders im speziellen Fall von Echzell. In der Gemeinde schwelt etwas, was der Fraktionsvorsitzende der SPD im hessischen Landtag, Thorsten Schäfer-Gümbel, am Samstag im Festzelt neben dem Feuerwehrhaus als „braunen Spuk“ bezeichnet. Schäfer-Gümbel sowie der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Tarek Al-Wazir, einige Landtagsabgeordnete von Grünen und Linkspartei, der Landrat des Wetteraukreises, Joachim Arnold (SPD), und die gesamte Echzeller Politik sind am Samstag in den Ortsteil Gettenau gekommen, um am „1. Echzell Festival gegen Rechtsaußen“ teilzunehmen. Die Bürgerinitiative „Grätsche gegen Rechtsaußen“ hat das Sport- und Musikfestival organisiert. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Ausweitung von rechtsextremen Aktivitäten in Echzell zu verhindern und auf Geschehnisse aufmerksam zu machen, die sich seit rund zehn Monaten in der Gemeinde ereignen.
Überwachungskameras am Haus
Zentrum der Vorfälle ist die Wiesengasse. Dort lebt seit 2008 der 24 Jahre alte mutmaßlich rechtsextreme Geschäftsmann Patrick W., der früher in Wölfersheim einen Tätowierladen mit dem Namen „Old Brothers“ betrieb und über das Internet T-Shirts mit rassistischen Motiven verkauft haben soll. Nachdem W. seinen Laden von Wölfersheim an die Wiesengasse in Echzell verlegte, kam es dort zunehmend zu Streit mit den Nachbarn. Zunächst wegen Lärms von Feiern, die W. in seinem Haus organisierte und zu denen er auch Echzeller Jugendliche einlud. Nach Angaben eines Polizeisprechers liegen mehrere Anzeigen gegen W. vor, unter anderem wegen Körperverletzung, Nötigung und Ruhestörung.
Nachdem es laut Bürgerinitiative im Oktober 2009 zu einem ersten Übergriff mit Drohungen gekommen war, weil sich eine Nachbarin bei W. über die Lautstärke bei einer Feier beschwert hatte, folgte der Höhepunkt der Auseinandersetzungen bei einer weiteren Party Anfang Mai dieses Jahres: Als ein Nachbar versuchte, mit einer Leiter zu den Überwachungskameras zu steigen, die W. an seinem Haus befestigt hat, zerrten einige seiner Gäste den Nachbarn von der Leiter und rissen ihm Hose und Unterhose vom Leib. Der Mann musste an den Beinen unbekleidet in sein Haus zurückkehren.
„Nicht nur sauber. Arier“
Den Film aus seiner Überwachungskamera stellte W. vermutlich selbst auf die Internetplattform Youtube, wo er bis heute zu sehen ist, versehen mit hämischen Kommentaren. In einem Fernsehbeitrag, den der Hessische Rundfunks daraufhin über den Vorfall drehte, sagt W. über sich selbst: „Ich bin national eingestellt, aber ein Nazi bin ich keiner“ – und trägt dabei ein T-Shirt auf dem „Nicht nur sauber. Arier“ steht.
Da an besagtem Abend im Mai auch Polizei an Ort und Stelle war und in die Auseinandersetzung eingriff, wurde der Vorfall am Donnerstag im Innenausschuss des Hessischen Landtags thematisiert. Es galt die Frage zu klären, ob die anwesenden Polizeikräfte angemessen gehandelt hatten. Dabei berichtete der Inspekteur der Landespolizei, dass es sich um einen Nachbarschaftsstreit gehandelt habe, da die Täter nicht aus dem rechtsextremen, sondern aus dem „sonstigen Umfeld“ von W. stammen sollen.
Nicht das letzte Fest
Vor allem gegen das rechtsextreme Umfeld von W. richtete sich am Samstag das Festival auf dem Sportplatz, wo Jugendliche am Nachmittag Fußball, Tennis, Handball oder Basketball spielten. Den Sport hat die Bürgerinitiative bewusst als Vehikel gewählt für ihren Protest. „Über den Sport haben wir die Möglichkeit, an viele Leute heranzukommen und sie für das Thema Rechtsextremismus zu sensibilisieren“, sagt Angelika Ribler von der Sportjugend Hessen, die die Echzeller Bürgerinitiative berät und unterstützt.
Die Initiative hat sich neben dem Eindämmen der rechtsextremen Umtriebe auch zum Ziel gesetzt, eine „aufgeklärte demokratische Jugend in Echzell zu stützen und zu fördern“, wie es im Flugblatt zum Festival heißt. Auch deshalb hat sie die örtlichen Sportvereine ins Boot geholt, da die Jugendlichen, die W. zu seinen Feiern einlädt, oftmals Mitglieder in den Vereinen sind.
Das erste Echzell-Festival mit seinen rund 900 Besuchern soll deshalb auch nicht das letzte gewesen sein. „Wir werden weiter arbeiten und fangen an, uns mit ähnlichen Initiativen in den umliegenden Gemeinden zu vernetzen“, sagt Organisatorin Olivia Bickerle. Demnächst solle ihre Bürgerinitiative in einen Verein umgewandelt werden, um die Arbeit gegen Rechts zu verstetigen. „Ich habe eine zweieinhalb Jahre alte Tochter, und die soll nicht in so einem Umfeld aufwachsen“, sagt die 39 Jahre alte Managerin.
© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2010
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